Tanz Heinz

Seit einigen Jahren spielte ich in einer Jazzband. Wir hatten uns mittlerweile so etabliert, dass wir ein Dauerengagement in einer berühmten Düsseldorfer Altstadtkneipe bekamen, die täglich Livemusik bot.. Wir spielten zweimal die Woche.. Der Laden war immer brechend voll. Auch eine Stammkundschaft traf sich, wenn wir aufspielten. Immer war ein älterer Herr mit Seemannskappe zugegen. Er tanzte stets mit der anwesenden Weiblichkeit zu unserer Musik. Wie wir bald erfuhren hieß er Heinz, war pensionierter Schiffsbauer und wohnte im Düsseldorfer Hafen. Jahr um Jahr kam Heinz regelmäßig zu unseren Auftritten.

 

Eines Tages lud er uns zu seinem Geburtstag nach Hause ein. Es war sein 70ster. Wie gesagt, Heinz wohnte im Düsseldorfer Hafen und hatte dort ein Haus an Land und tief unten im Hafenbecken ein Hausboot. Im Hausboot gab es auch eine Frau Heinz, von der wir bis dahin noch nichts gehört hatten. Was wir auch nicht wussten, Heinz hatte ein Herzproblem und konnte deshalb die viele Stufen zählende Treppe zum Hausboot hinab nicht mehr steigen. Heinz wohnte daher oben im Haus und seine Frau unten im Boot. Heinz stahl sich so abends immer heimlich aus dem Haus und fuhr mit dem Fahrrad in die Altstadt. Seine Frau ahnte nichts davon.

 

Auf seinem Geburtstag blieb das auch sein und unser Geheimnis. Für die Feier hatte Heinz eigens ein großes Floß gebaut, auf dem die gesamte Geburtstagsgesellschaft incl. Band durch den Düsseldorfer Hafen schipperte und kräftig feierte. Bei der Gelegenheit lernten wir die ganze Familie kennen.

 

Danach kam „Tanz-Heinz“, wie wir ihn mittlerweile nannten, wie gewohnt zu unseren Jazzabenden in die Altstadt bis eines Tages Frau Schmitz, so hieß Heinz mit Hausnamen, bei mir anrief. Sie verkündete mir die traurige Nachricht, dass ihr Mann verstorben sei. Es gäbe da aber eine Bitte und ein Problem: Heinz hatte sich gewünscht, dass wir ihn auf seiner Beerdigung sowohl in der Kapelle, wie auch am Grab und selbstverständlich auch beim sogenannten Leichenschmaus musikalisch begleiten sollten. Eine sogenannte New-Orleans-Beerdigung.

 

Das Problem: Sie habe kein Geld, um den Wunsch ihres Mannes zu erfüllen. Für uns war die finanzielle Seite überhaupt kein Problem, aber die emotionale. Noch nie zuvor hatte einer von uns Musikern , einen Freund mit Musik zu Grabe getragen. Durch die regelmäßige Präsenz bei unseren Auftritten über mehrere Jahre hatte sich eine freundschaftliche Beziehung zu Heinz aufgebaut, von der seine Frau natürlich nichts ahnte. Also: wir erfüllten unserem alten Freund seinen Wunsch und bereiteten ihm eine Beerdigung, die uns sehr an die Nieren ging, ihm aber sicherlich gefallen hätte.

 

Nach dem musikalischen Leichenschmaus verabschiedeten wir uns und sagten der Witwe, dass wir das gerne für Herrn Schmitz getan hätten, es für uns eine völlig neue Erfahrung gewesen sei und wir dafür auch keinerlei finanziellen Forderungen stellen würden.

 

Etwa zehn Jahre später

 

Samstagabend gegen 22 Uhr. Mein Telefon klingelt. „Schmitz“ meldete sich eine weibliche Stimme am anderen Ende. Ich wusste zuerst nicht, mit wem ich es zu tun hatte. Doch nachdem Frau Schmitz von einer Beerdigung mit Teilnahme unserer Jazzband sprach, war ich wieder im Bilde. Das war bis dahin nicht wieder vorgekommen. Dann kam die alte Dame zum Grunde ihres Anrufs. Sie habe in der Zeit nach dem Tode ihres Mannes darauf gespart, unseren Einsatz am Grabe ihres Mannes zu bezahlen. Und jetzt habe sie das Geld zusammen.

 

Ich sagte ihr, dass wir damals wirklich gerne diesen Wunsch erfüllt hätten und dies wie für einen Freund zelebriert hätten. Die Erfahrung einer solchen Beerdigung sei uns Entlohnung genug gewesen, wir würden auch nichts haben wollen und sie selbst könne es sicher selbst gut brauchen.

 

Ich weiß nicht, ob sich die alte Dame gefreut hat oder ob sie enttäuscht war. Ich habe nach diesem Telefongespräch nie wieder etwas von ihr gehört.

 

 

Karl-Heinz Ortmanns